Fabian von Schlabrendorff

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Fabian Ludwig Georg Adolf Kurt von Schlabrendorff (* 1. Juli 1907 in Halle (Saale); † 3. September 1980 in Wiesbaden) war ein deutscher Jurist sowie Reserveoffizier und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Von 1967 bis 1975 war er Richter des Bundesverfassungsgerichts.

Fabian von Schlabrendorff besuchte das Gymnasium Leopoldinum in Detmold[1] und war nach seinem Studium in Halle und Berlin und der Promotion in Rechtswissenschaften als Assistent für Herbert von Bismarck (Gut Lasbek/Pommern), dem Staatssekretär im preußischen Innenministerium, tätig. Beide teilten die Abneigung gegen die Nationalsozialisten. Von Schlabrendorff heiratete Luitgarde von Bismarck (1914–1999), eine Enkelin der Widerstandskämpferin Ruth von Kleist-Retzow.

Nach eigener Darstellung flog Schlabrendorff, der exzellent Englisch sprach, im Auftrag Berliner Widerstandskreise Mitte August 1939 nach London, um hohe Beamte im Foreign Office über die Geheimverhandlungen zwischen dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow sowie deutsche Pläne für einen Angriff auf Polen zu informieren. Doch sei er nicht ernst genommen worden. Er habe Winston Churchill getroffen und ihm dargelegt, dass es im Deutschen Reich durchaus Widerstand gegen die Pläne Hitlers gebe.[2]

Im Zweiten Weltkrieg

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Schon früh gehörte von Schlabrendorff zu den konservativen Gegnern des Nationalsozialismus. Als Leutnant der Reserve wurde er 1942 zum Adjutanten von Oberst Henning von Tresckow, seinem Vetter, einem der führenden Köpfe des militärischen Widerstands gegen Hitler, und beteiligte sich an den verschiedenen Staatsstreichplänen und -versuchen der Verschwörer. Von Schlabrendorff fungierte dabei vor allem als geheimer Verbindungsmann zwischen Tresckow, der im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront als Generalstabsoffizier tätig war, und der Verschwörergruppe in Berlin um Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler, Hans Oster und Friedrich Olbricht.

Am 13. März 1943 schmuggelte von Schlabrendorff in einer Kiste mit zwei Flaschen Cointreau als Geschenk für Hellmuth Stieff eine Sprengstoffbombe in Hitlers Flugzeug, die Focke-Wulf Fw 200. In Begleitung von Oberstleutnant Heinz Brandt ist Hitler an diesem Tage zur Besichtigung an der Front gewesen. Im Anschluss flogen beide zurück in das Hauptquartier des Führers bei Rastenburg, die Wolfsschanze.[3]

Den Sprengstoff und die erforderlichen lautlosen Bleistiftzünder englischer Herkunft hatte einer der Mitverschwörer, Oberstleutnant Rudolf-Christoph von Gersdorff, besorgt.[4] Von Schlabrendorff aktivierte selbst den Zünder und übergab das Päckchen an Oberstleutnant Heinz Brandt mit der Bitte es an Hellmuth Stieff weiterzugeben. Der Sprengsatz explodierte jedoch nicht – wie man später feststellte, aufgrund der großen Kälte im Frachtraum des Flugzeugs. Am nächsten Morgen flog von Schlabrendorff unter höchstem Risiko mit einem Kurierflugzeug nach Ostpreußen, suchte Brandt auf und tauschte das Paket wieder aus.

Schlabrendorff war Zeuge der Exhumierungen der Opfer des Massakers von Katyn im Frühjahr 1943 und hatte keine Zweifel an der sowjetischen Täterschaft.[5]

Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde von Schlabrendorff verhaftet und in das Gestapo-Gefängnis nach Berlin verlegt. Trotz wiederholter schwerer Folter gelang es der Gestapo nicht, von Schlabrendorff zu Geständnissen über Mitverschwörer und Einzelheiten der Planungen des Widerstands zu bewegen. Im Februar 1945 war der Prozess gegen von Schlabrendorff vor dem Volksgerichtshof in Berlin angesetzt. Am 3. Februar 1945 zerstörte jedoch ein direkter Bombentreffer große Teile des Gerichtsgebäudes, wobei der Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler ums Leben kam. Er hielt bei seinem Tod nach von Schlabrendorffs Darstellung dessen Akte in der Hand.

Die Verhandlung musste ausgesetzt werden, und als der Fall Mitte März erneut aufgerufen wurde, erreichte von Schlabrendorff unter Hinweis auf die erlittenen Folterungen vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Wilhelm Crohne einen Freispruch.[6] Im folgenden Monat wurde von Schlabrendorff nacheinander in verschiedene Konzentrationslager verlegt: Sachsenhausen, Flossenbürg, Dachau. Am 24. April 1945 wurde er gemeinsam mit etwa 140 prominenten Insassen aus zwölf Nationen nach Niederdorf (Südtirol) transportiert. Die SS-Wachmannschaft hatte den Befehl, die Häftlinge nicht lebend in Feindeshand fallen zu lassen. Wichard von Alvensleben, als Hauptmann der Wehrmacht, befreite diesen Transport; endgültig befreit wurden die Häftlinge am 4. Mai 1945 von amerikanischen Truppen (siehe Befreiung der SS-Geiseln in Südtirol).[7]

Nach Kriegsende

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Grabstätte auf dem Friedhof von St. Martin zu Morsum (Sylt)

Während des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher gehörte er zum Beraterstab des Chefs des amerikanischen Geheimdienstes OSS, General William J. Donovan, der erster Berater des amerikanischen Hauptanklägers Robert H. Jackson war. Wie erst sechs Jahrzehnte später nach der Freigabe von OSS-Dokumenten bekannt wurde, schrieb Schlabrendorff für Donovan Analysen über den Widerstand gegen Hitler und über die Generalität der Wehrmacht. Seine Denkschrift, in der er sich dagegen verwehrte, das Massaker von Katyn den Deutschen zuzuschreiben, brachte Jackson zu der Überzeugung, dass dieser Punkt aus der Anklageschrift von Nürnberg gestrichen werden müsse.[8]

Laut einer Dokumentation der CIA schlugen die USA Bundeskanzler Konrad Adenauer 1950 vor, Schlabrendorff zum ersten Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zu berufen; Schlabrendorff habe dies aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt.[9]

Stattdessen arbeitete er zunächst wieder als Rechtsanwalt. Von Juli 1955 bis 1956 war er Mitglied des Personalgutachterausschusses für die neue Bundeswehr. Vom 1. September 1967 bis zum 7. November 1975 war er Richter des Bundesverfassungsgerichts (2. Senat).[10] 1967 wurde Schlabrendorff das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.[11]

Im Johanniterorden war er seit 1950 als Ehrenritter, dann 1957 Rechtsritter, Ordenshauptmann von 1958 bis 1964, Mitgliedschaft in der Brandenburgischen Provinzial-Genossenschaft.[12]

Fabian von Schlabrendorff veröffentlichte unter dem Titel Offiziere gegen Hitler das erste Buch der Nachkriegszeit über den militärischen Widerstand gegen das NS-Regime. Die erste Auflage erschien 1946; es folgten mehrere Neuauflagen, die es zu einem der bekanntesten Werke der Nachkriegszeit zu diesem Thema machten.[13][14]

In Frankfurt am Main, Detmold und Rangsdorf gibt es nach ihm benannte Straßen.

„Diesen Erfolg Hitlers unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu verhindern, auch auf Kosten einer schweren Niederlage des Dritten Reiches, war unsere dringlichste Aufgabe.“

Fabian von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler. Europa-Verlag, Zürich, Ausgabe 1946, S. 38.
  • Christian HartmannSchlabrendorff, Fabian Ludwig Georg Adolf Kurt Graf von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 16 f. (Digitalisat).
  • Mario H. Müller: Fabian von Schlabrendorff – Offizier gegen Hitler und Jurist für die Republik. In: Felix Kraft, Christoph Studt (Hrsg.): „Sie hatten alle Rang und Geist und Namen“. Mitglieder des Widerstands und ihr Wirken nach 1945. Tagungsband der XXIX. Königswinterer Tagung. Wißner-Verlag, Augsburg 2018 (Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V., Bd. 24), ISBN 978-3-95786-144-3, S. 59–84.
  • Mario H. Müller: Fabian von Schlabrendorff – Der „verkleidete Zivilist“ im Stab der Heeresgruppe Mitte. In: Julia Gehrke (Hrsg.): Widerstand in Zeiten des Krieges. Tagungsband zur XXXIV. Königswinterer Tagung. Wißner, Augsburg 2023 (Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V.; 30), ISBN 978-3-95786-340-9, S. 59–82.
  • Ludger Fittkau / Marie-Christine Werner: Die Konspirateure. Der zivile Widerstand hinter dem 20. Juli 1944, wbg Theiss, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-8062-3893-8.
  • Andrea Riedle (Hrsg.): „Ein Polizeigewahrsam besonderer Art“. Das Hausgefängnis des Geheimen Staatspolizeiamts in Berlin 1933 bis 1945, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 2023, ISBN 978-3-941772-54-0.
  • Mario H. Müller: Fabian von Schlabrendorff : ein Leben im Widerstand gegen Hitler und für Gerechtigkeit in Deutschland. BeBra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-95410-312-6.
Commons: Fabian von Schlabrendorff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Fabian von Schlabrendorff im Munzinger-Archiv, abgerufen am 25. April 2012 (Artikelanfang frei abrufbar).
  2. Fabian von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler. Zürich 1951, S. 52–54.
  3. Fabian von Schlabrendorff: Das Bomben-Attentat auf Hitler am 13.3.1943. In: Online-Edition Mythos Elser.
  4. Fabian von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler. Zürich 1951, S. 116–117.
  5. Thomas Urban: Katyn 1940. Geschichte eines Verbrechens. München 2015, S. 82, 101.
  6. Vgl. Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin 1994, ISBN 3-88680-539-5, S. 318.
  7. Peter Koblank: Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol. In: Online-Edition Mythos Elser 2006.
  8. Wie das Massaker von Katyn aus der Anklage verschwand sueddeutsche.de, 14. Mai 2015.
  9. Delmege Trimble: The Defections of Dr. John (Memento vom 27. September 2018 im Internet Archive)
  10. Gestorben: Fabian von Schlabrendorff. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1980, S. 236 (online8. September 1980).
  11. Verfassungsrichter: Weise am Rande. In: Der Spiegel. Nr. 31, 1967, S. 35 (online24. Juli 1967).
  12. Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (Hrsg.): Die Mitglieder des Erweiterten Kapitels des Johanniterordens von 1958–1999. Selbstverlag, Nieder-Weisel 1999, S. 24–99 (kit.edu [abgerufen am 31. August 2021]).
  13. Gert Buchheit: Richter in roter Robe: Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes. List, 1968, S. 274.
  14. Simone Hannemann: Robert Havemann und die Widerstandsgruppe „Europäische Union“: eine Darstellung der Ereignisse und deren Interpretation nach 1945 (= Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs, Bd. 6). Robert-Havemann-Archiv (Berlin), ISBN 978-3-9804920-5-8, S. 80, Fußn. 263.